Die wissenschaftliche Fragestellung, ob kollegiale Visitationen aus Sicht der Beteiligten einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf die Praxisroutine haben, kann eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Unbestritten ist bei allen Beteiligten das Potential der Methodik. Mit der Bereitschaft, die „black box Zahnarztpraxis“ zu öffnen, professionelle Kritik zuzulassen und sich damit auseinanderzusetzen, ist eine große Chance zur Performance der Praxis verbunden mit einem Stück Persönlichkeitsentwicklung gegeben. Es existiert kein anderes Fortbildungsformat oder Qualitätsmanagementsystem, welches diesbezüglich in der Intensität vergleichbar wäre. Zielgruppe für kollegiale Visitationen sind miteinander vernetzte, erfahrene, in Eigenverantwortung arbeitende Zahnärzte*innen. Je geringer jedoch die gemeinsame fachliche und persönliche Basis ist, desto genauer müssen die Rahmenbedingungen und die Absprachen vor einer kollegialen Visitation gefasst werden. Dies sollte behutsam geschehen, da eine zu starke Reglementierung des Ablaufes im Sinne eines abzuhakenden Fragenkataloges die umfassende Abbildung der Praxen durch die Visitation einschränken würde. Klar ist auch, dass die Methodik nur auf freiwilliger Basis funktionieren kann.
Eine Besonderheit der „Fortbildung“ durch kollegiale Visitationen ist der breite Bereich, der abgedeckt respektive aufgedeckt wird. Die nach den gegenseitigen Praxisbesuchen diskutierten Themen betreffen nicht nur zahnärztliche, zahntechnische, wirtschaftliche oder organisatorische Parameter. Vielmehr bietet diese Methode die einmalige Chance, mit dem/der anderen Experte*in auf Augenhöhe Fragen zu erörtern, die normalerweise nicht angesprochen werden. Beispiele sind Themen wie interne Kommunikation, Mitarbeiterwertschätzung, Selbstreflektion, aber auch die Frage nach der Lebensqualität angesichts einer immer herausfordernden Praxisrealität.
Kollegiale Visitationen sind kein einfaches Instrument, das flächendeckend eingeführt werden könnte. Es mag aufgeschlossenen und sich selbst hinterfragende Experten auf einem hohen Niveau zu weiterführenden Lernerfahrungen verhelfen. Daher ist es maßgeschneidert für den AZT. Weitere Erfahrungen und Studien müssen zeigen, wie interessierte Kollegen*innen auf eine kollegiale Visitation vorbereitet, wie geeignete Teilnehmer gefunden, aber auch Risiken der emotionalen Verletzung minimiert werden können.
Fazit: Die zahnärztliche Profession braucht den großen Erfahrungsschatz und das umfassende Wissen, das in den einzelnen Praxen im Verborgenen liegt. Universitäres Wissen ist die Grundlage für jeden Zahnarzt, reicht aber für eine erfolgreiche Therapie und Praxisführung alleine nicht aus. Kollegiale Beratungen und somit auch Visitationen sind Instrumente, die dieses Wissen in den Praxen strukturieren und verfügbar machen. Dieses Instrument hat das Potential, die Profession, aber auch jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen weiter zu entwickeln. Die Mitglieder des AZT nutzen dieses Potential. Das Einzelkämpfertum ist kein Erfolgsmodell für die Zukunft.